„Kinder brauchen keine Erziehung“ ist meine Überzeugung. Je länger ich mich mit der Begleitung von Kindern beschäftige und je älter mein Kind wird, umso mehr stärkt sich diese innere Haltung. Vor allem bei meinem Kind beobachte ich immer öfters wie es meine Werte und meine Verhaltensweisen übernommen hat ohne, dass ich sie ihm beigebracht oder anerzogen habe.
Doch was heißt „Kinder brauchen keine Erziehung“?
Meiner Meinung nach brauchen Kinder Begleitung und Vorbilder. Sie brauchen jemanden, der ihnen Werte und Verhaltensweisen vorlebt. Denn indem sie diese immer wieder mit jemandem erleben oder diese beobachten können, übernehmen sie diese Werte und Verhaltensweisen.
Typische Beispiele sind sich bedanken oder jemanden grüßen. Indem Eltern sich bei anderen Menschen oder bei dem eigenen Kind für etwas bedanken, lernt das Kind durch Erfahrung und Beobachtung, dass man sich bedankt, wenn man etwas geschenkt bekommt oder jemand etwas Gutes für einen macht. Wenn Eltern Vorbilder sind und andere Menschen zum Beispiel ihre Nachbarn grüßen, lernt das Kind grüßen.
Das bewusste Vorleben von seinen Werten hat viele positive Effekte
- Es ist ein authentisches, ehrliches Danke oder Grüßen, das aus dem Herzen kommt.
- Das Kind lernt es von selbst, in seinem Tempo, so wie es für sich selbst und seine Entwicklung passend ist.
- Es braucht keine Anleitung und Anweisung. In anderen Worten Eltern müssen ihr Kind nicht ständig auffordern etwas zu tun. Das kann mühsam und anstrengend sein.
Wenn ich also ein Vorbild bin, dann wird Erziehung obsolet. Denn durch mein Vorleben lernt mein Kind von mir. Außerdem sind Kinder Meister im Beobachten. Sie beobachten ihr Umfeld und lernen dadurch. Wie lernt ein Kind sprechen oder gehen? Indem es beobachtet und immer wieder Erfahrungen mit der Bewegung oder der Sprache macht.
Indem ich die Haltung übernehme, dass ein Kind selbstständig und unbewusst durch Erfahrungen und die Beobachtung von Vorbildern lernt, wird mir bewusst, dass ich nicht mehr erziehen muss. Meiner Meinung nach sind alle Eltern für ihre Kinder Vorbilder – egal ob man diese Haltung als Elternteil bewusst wahrnimmt oder nicht. Kinder orientieren sich an den Werten und den Verhaltensweisen der Eltern und übernehmen diese unbewusst auf. Es liegt also an den Eltern sich bewusst zu machen was sie durch ihr Verhalten an ihre Kinder weitergeben wollen und möchten.
Drei persönliche Geschichten
Danke
Auf unserer Baustelle arbeiten wir immer gemeinsam – mein Mann, unser Kind und ich. Da wir keine Kinderarbeitshandschuhe haben, aber wir Erwachsene welche haben, nimmt unser Sohn immer seine dünnen Winterhandschuhe. Es ist okay für ihn. Eines Tages war ich im Bauhaus ein paar Dinge besorgen und da entdeckte ich Kinderarbeitshandschuhe. Mein Gefühl sagte mir, dass ich sie mitnehmen sollte. Als ich auf der Baustelle unserem Kind die Handschuhe gab, strahlen seine Augen und er sagte: „Danke, Mama! Ich freue mich sehr!“ Er zog sie gleich an und half den ganzen Nachmittag mit den Handschuhen mit bzw. spielte mit ihnen Bauarbeiter. Er war so stolz auch welche zu haben.
Grüßen
Ich habe mein Kind nie ermahnt oder aufgefordert jemanden zu grüßen. Ich hab es immer vorgelebt. Mit 2 oder 3 Jahren hat er kaum jemanden in meiner Anwesenheit gegrüßt. Nur ab und zu kam ihm ein „Hallo!“ über die Lippen. Aber wenn er grüßte, kam es aus dem Herzen. Ich spürte es und sah seine Freude. Er freute sich, dass er die Person traf und daher grüßte er. Für mich war es okay, dass es so war wie es war. Auch wenn ich von manchen Erwachsenen hörte, dass er nicht grüßen kann bzw. sie ihm durch mehrmaliges Grüßen zum Grüßen auffordern wollte. Doch ich lies das einfach. Ich vertraute mir und meiner Überzeugung. Mittlerweile ist er fast vier Jahre alt und er grüßt fast immer. Er grüßt Menschen, wenn er sich freut, dass er sie sieht. Aber er grüßt auch generell Menschen, da er durch meine Vorbildwirkung gelernt hat, dass man in gewissen Situationen andere Menschen grüßt.
Verhaltensweisen vorleben
Als Kleinkind verwendete ich bei meinem Kind nach dem Baden immer einen Bademantel. Er liebte ihn. Als er 2 Jahre wurde, war der Bademantel auf einmal out. Egal was ich tat, er wollte nach dem Baden nackig sein. Ich akzeptierte es und hackte das Thema ab. Als ich eines Tages nach dem Baden meinen Bademantel anzog, fragte er: „Was ist denn das?“ Ich erklärte ihm, dass es ein Bademantel ist und wofür ich ihn verwende. Er war interessiert und begeistert. Als er mit dem Baden fertig war, wollte er auch gleich einen Bademantel anziehen. Gott sei Dank hatte ich sogar noch einen in seiner Größe. Er war begeistert und strahlte. Seither ist der Bademantel wieder sehr beliebt und nach dem Baden in Verwendung.
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